Die Forschergruppe C-I-1 befasst sich aus linguistischer Perspektive mit den Ausdrücken für räumliche Relationen in antiken Sprachen. Beteiligt sind Forscherinnen und Forscher aus den Disziplinen der Ägyptologie, der Altorientalistik (mit den Sprachen Akkadisch, Hethitisch, Hurritisch), der Klassischen Philologie (Griechisch, Latein) sowie der Allgemeinen Sprachwissenschaft und Sprachtypologie (u. a. Lasisch). In interdisziplinärer Zusammenarbeit werden morphologische, syntaktische und semantische Untersuchungen durchgeführt, die sowohl das Wortmaterial als auch die morphosyntaktischen Phänomene beschreiben, mit denen in Sprachen der Antike räumliche Informationen kommuniziert werden können. Da der Raum eine zentrale Domäne der Kognition und der Sprache darstellt und überdies metaphorisch auch andere Phänomene strukturiert, analysieren die Projekte aufgrund von Corpusanalysen sprachliche Strukturen, die in vielfältigen Kontexten der antiken Überlieferung in Erscheinung treten. Die zeitliche Erstreckung der Bezeugung der Sprachen ermöglicht es, in diachron angelegten Studien Phänomenen des Sprachwandels im Bereich der Raumreferenz nachzugehen, etwa Prozessen der Lexikalisierung, Grammatikalisierung und Desemantisierung. Das übergeordnete Ziel der Projekte besteht darin, für die jeweilige Sprache systematisch die verschiedenen Kategorien der Raumreferenz zu beschreiben. Gegenüber den meisten bisherigen Arbeiten auf dem Gebiet der antiken Sprachen zeichnet sich hier die Forschungstätigkeit dadurch aus, dass Theorien und Methoden der Sprachtypologie und der Kognitiven Linguistik herangezogen, adaptiert und erforderlichenfalls modifiziert werden. Dieser Zugriff, der aktuelle Diskussionen der Linguistik aufgreift, ist einerseits geeignet, räumliche Ausdrucksmöglichkeiten in präzisen Kategorien zu analysieren, andererseits trägt er dazu bei, Material aus den antiken Sprachen für die linguistische Forschung zugänglich zu machen. Unerlässlich für die Arbeit an den Einzelprojekten sind die Erkenntnisse der Sprachtypologie, da erst im Vergleich von Sprachen verschiedener Familien und verschiedener Entwicklungsstufen valide Erkenntnisse über mögliche Universalien und sprachliche Spezifika erzielt werden können. Darüber hinaus werden Verfahrensweisen der Corpuslinguistik angewandt. Ebenso wird die Brücke zur Literaturwissenschaft geschlagen, da die semantische Analyse von räumlichen Ausdrücken und Metaphern nur im größeren Textzusammenhang möglich ist, sowie zur Archäologie, wenn Text- und Bildzeugnisse zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Projekte, die überwiegend als Dissertationsvorhaben konzipiert sind, haben in einem ersten Schritt für die Fragestellung geeignete Textcorpora konstituiert und ein gemeinsames linguistisches Fundament an Theorien und Methoden etabliert. Mit der fortlaufenden Zusammenarbeit in der Gruppe ist dieses Instrumentarium weiterentwickelt und an den konkreten Einzelergebnissen überprüft worden. Durch den Austausch der beteiligten Mitglieder untereinander konnte bereits herausgearbeitet werden, dass im Bereich der Raumreferenz sprachliche Universalien wirksam sind, ebenso jedoch zahlreiche Divergenzen beobachtet werden können, die auf Unterschiede in der Konzeptualisierung des Raumes hinweisen. Durch diese Beobachtungen an den antiken Sprachen haben sich auch Hypothesen der Linguistik, die an heutigen Sprachen entwickelt worden sind, modifizieren und ergänzen lassen. Mit der Analyse der Raumreferenz versucht die Forschergruppe, die Relation zwischen dem physischen Raum, der Sprache und dem Wissen zu beschreiben. Die Sprache steht hier als Kommunikationsmedium im Mittelpunkt, d. h. als Instrument der Wissensvermittlung. Über den linguistischen Zugriff wird es ermöglicht, Rückschlüsse auf die Konzeptualisierung des Raumes und damit auch auf diejenigen Faktoren zu ziehen, die auf die Raumkognition Einfluss nehmen. Indem die Projekte aufzeigen, wie die kognitive Auseinandersetzung mit dem physischen Raum in sprachliche Ressourcen umgesetzt und kommuniziert wird, beleuchten sie Prozesse, die sich bei der Verarbeitung, der Speicherung und der Organisation von Wissen abspielen. Wissen wird somit in seiner räumlichen wie sprachlichen und kulturellen Bedingtheit erfasst.